Blog von GinkgoWolf

Wahre Geschichten: Wölfe zeigen sich nur, um etwas mitzuteilen



Wir befinden uns an der Westküste Kanadas, im Bundesstaat British Columbia.

Hier lebt und arbeitet Gudrun Pflüger, eine ehemalige Spitzensportlerin. Sie hat die heimatlichen österreichischen Alpen mit den kanadischen Rocky Mountains getauscht, um hier der Erforschung von Küstenwölfen nachgehen zu können.

Die Küstenwölfe der gemäßigten Regenwälder British Columbias sind einzigartig. Sie treffen in ihrem Lebensraum nur selten auf Menschen und sind deshalb nicht besonders scheu. Entlang der Pazifikküste haben sie sich einen für Wölfe recht ungewöhnlichen Lebensraum erschlossen. Auch unterscheiden sie sich in ihrer Ernährungsweise gänzlich von ihren restlichen Wolfsverwandten. Hier, im Land zwischen Wäldern, Meeresbuchten und Inseln, ernähren sich die Küstenwölfe vorwiegend von Fisch, Meeresfrüchten wie Muscheln und von Robbenfleisch. Die zierlichen Wölfe sind sogar in der Lage, mehrere Kilometer zu entfernten Inseln schwimmend zurückzulegen. Aufgrund dieser Eigenheiten stufen viele Wissenschaftler British Columbias Küstenwölfe zu einer eigenen Unterart des Wolfes ein.

Gudrun Pflüger hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Verhalten und die Lebensweise dieser besonderen Tiere zu erforschen.

An einem späten Nachmittag im Jahr 2006 erlebt Gudrun eine ganz und gar ungewöhnliche Begegnung mit Küstenwölfen. Eine kleine grasbewachsene Insel wird dabei zum Schauplatz für dieses Zusammentreffen.

Von diesem Ereignis existiert Filmmaterial, da zuvor ein Wolfsfilm gedreht wurde und der Kameramann zwar ein ganzes Stück von Gudrun entfernt war, aber jede Bewegung im Film festgehalten hat.



Gudrun lässt sich etwa in der Mitte der Wiese nieder und beginnt mit dem Fernglas die Umgebung nach Wölfen abzusuchen. Während sie dieses tut, kommt aus der ihr entgegengesetzten Richtung ein Wolf aus dem angrenzenden Wald, den sie erst bemerkt, als er schon auf der Wiese steht und ein zweiter aus dem Wald dem ersten folgt.



Gudruns Erinnerungen an diesen Moment sind noch immer sehr lebendig:

„Zuerst hab ich gedacht: Die sehen mich net. Das Gras war ziemlich hoch… Die sind aber direkt auf mich zugekommen. Und immer mehr… Im Endeffekt, es waren sieben Wölfe, sie haben mich umzingelt, sie haben sich aufgefächert und sind aus allen Seiten gekommen.“

Gudrun legt sich flach ins Gras, um den Wölfen zu signalisieren, dass sie keine Gefahr darstellt. Dazu vermeidet sie jeglichen Augenkontakt mit den Tieren.



Eines der Tiere, die Leitwölfin des Rudels, läuft voraus, um Gudrun näher zu untersuchen. Gudrun vermutet, dass die Wölfin „vorgeschickt“ worden ist:
„Mal schauen, was das ist.“

In ihrer Neugier vor dem unbekannten Wesen kommt die Wölfin Gudrun ganz nah, näher als irgendein anderer wilder, freilebender Wolf.

„Die Leitwölfin war direkt an meinem Gesicht, ich hab ihre Barthaare gespürt.“



Auch der Alphawolf nähert sich Gudrun neugierig. Keiner der Wölfe zeigt große Scheu vor ihr. Die Begegnung verläuft gänzlich ohne Laute, auch verhalten sich die Wölfe weder aufgeregt noch aggressiv. Stattdessen legen sie sich in der Nähe zur Ruhe und akzeptieren Gudrun bereitwillig in ihrer Mitte.

Über diese Umgangsformen sagt sie später:

„Da war eine Kommunikation zwischen den Wölfen und mir. Ohne Worte. … Sie haben nichts zu befürchten vorm anderen.“

Irgendwann beginnen die Wölfe zu spielen und jagen sich gegenseitig über die Wiese.



Es wird dunkel. Zeit zum Aufbruch für Gudrun.

Doch fast scheint es, als wollten sie die Wölfe nicht gehen lassen. Die Alphawölfin schneidet ihr gar den Weg ab, als ob sie sagen wollte: „Bleib bei uns.“

Doch schließlich lässt sie Gudrun ziehen. Die Wölfe beschnuppern nun intensiv die Stelle, an der Gudrun im Gras gelegen hat. Damit endet eine einzigartige Begegnung.

Zwei Wochen später kommt für Gudrun der Schock: In ihrem Kopf wird ein tennisballgroßer Gehirntumor gefunden. Man beräumt ihr kaum Überlebenschancen ein, doch Gudrun gibt nicht auf, sondern kämpft weiter. Dabei hilft ihr vor allem die Erinnerung an die Begegnung mit „ihren“ Wölfen auf der Wolfswiese. Und sie schafft es tatsächlich und wird wieder gesund.

Als später Wolfsexperten die Filmsequenz von der Begegnung Gudruns mit den Küstenwölfen sehen, stellen auch sie fest, dass die Tiere ein außergewöhnliches Verhalten an den Tag gelegt haben.
Chester Starr, seines Zeichens Wolfsforscher, erwähnt an der Stelle den Glauben der Heiltsuk, nachdem sich Wölfe nur zeigen würden, wenn sie den Versuch machen, uns etwas mitzuteilen.

Da auch Hunde als Warnhunde für bevorstehende epileptische Anfälle oder Spürhunde für Viruserkrankungen ausgebildet werden und auch im Alltag zum Teil den sprichwörtlichen „Siebten Sinn“ beweisen, kommt man wohl nicht umhin, den Wölfen zuzutrauen, dass sie von Gudruns schlimmer Krankheit Bescheid wussten und ihr dies mitzuteilen versuchten.


Alle hier gezeigten Bilder stammen von der eigenen Digitalkamera und sind Szenen aus dem Film „Die Wolfsfrau“, erstausgestrahlt vom NDR.



Weiterführende Informationen zur Begegnung von Gudrun Pflüger und den Küstenwölfen:

>> Auf der Spur der Küstenwölfe - Gudrun im Glück

>> Mit "Universum" allein unter Wölfen