Blog von GinkgoWolf

Bonsai-Schule: Bonsai-Stilformen (2a)



Herzlich willkommen zur zweiten Ausgabe der "Bonsai-Schule". Dieses Mal stehen die Stilrichtungen, die richtige Auswahl eines passenden Gefäßes und anderer nützlicher "Utensilien" auf dem Unterrichtsplan.
Aufgrund der Fülle des Unterrichtsstoffs teile ich die Stunde und stelle zunächst nur die Stilrichtungen mit allem drum und dran vor.

Dann wollen wir mal:

Ziele in der Bonsai-Gestaltung

Eins vorneweg: Es geht nicht darum, einen Baum möglichst kunstvoll in eine Form zu bringen! Einem Bonsai sollte man nichts aufzwingen, sondern das herausarbeiten, was quasi "schon da" ist. Dazu braucht es einen geübten Blick, doch je öfter man den übt, um so schneller hat man den "Profi-Blick" drauf.
Heißt also, dass man sich Zeit lässt, um etwas passendes zu finden.

Grundsätzlich geht es darum, einen alten, naturgewachsenen Baumveteranen zu gestalten. Sprich, ein in einer Stilform gestalteter Bonsai muss vor allem eins sein: Überzeugend (natürlich) wirken.

Nichtsdestotrotz lassen sich Stilformen durchaus in ihren Kriterien abwandeln. Die Grundkriterien sollten jedoch erhalten bleiben!

Stilrichtungen zur Bonsai-Gestaltung

Nachdem ein passender Rohling ausgewählt ist, stellt sich die Frage nach der passenden Stilrichtung. Wer das Internet oder Bücher danach durchforstet, stößt recht schnell auf eine ganze Reihe von unterschiedlichsten Stilformen. Nur, welche davon ist die richtige? Nicht alle Gehölze eignen sich für alle Gestaltungen gleichermaßen.
Um diesen Aspekt aus dem Weg zu räumen, folgt hier ein möglicher Ratgeber, der die passendsten Stilarten inklusive ihrer jeweiligen Eigenarten vorstellt.

Bonsai-Stilformen für Anfänger geeignet



Chokkan - Streng aufrecht

Typische Merkmale:
Der Stamm verläuft gänzlich ohne Schwünge gerade und verjüngt sich bis zur Kronenspitze immer mehr.
Die Äste sind etagenförmig angelegt, wobei das untere Drittel in der Regel unbeastet ist.
Die Wurzeln wachsen strahlenförmig vom Stamm weg und verschwinden dann im Boden.

Geeignete Gehölze:
- Koniferen
- Ginkgos (Ginkgo biloba)

Laubbäume eignen sich in der Regel nicht.

Moyogi - Frei aufrecht

Typische Merkmale:
Der Stamm verläuft mehr oder weniger geschwungen, wobei die Kurvungen bis zur Kronenspitze immer mehr abnehmen.
Die Äste setzen etwas oberhalb der betreffenden geschwungenen Stammpartien an.

Geeignete Gehölze:
- Kiefern (Pinus)
- Azaleen (Rhododendron)
- Laubbäume

Shakan - Geneigt

Typische Merkmale:
Der Stamm ist mehr oder weniger stark zu einer Seite geneigt, im Laufe seines Wachstums jedoch gelingt es dem Baum einen Bogen zu wachsen, sodass die Spitze mehr oder weniger gerade ist.
Die Äste sind ähnlich der aufrechten Formen etagenförmig angelegt.
Der Wurzelansatz wird auf der geneigten Seite gestärkt, um Standfestigkeit zu vermitteln.
Bonsai der geneigten Form werden nahe dem Schalenrand positioniert, von dem sie sich wegneigen.

Geeignete Gehölze:
- Koniferen
- Ginkgos (Ginkgo biloba)
- Laubbäume

Hokidachi - Besenform

Typische Merkmale:
Der Stamm verläuft gerade, nach dem ersten Drittel teilt sich der Stamm in die Äste oder verjüngt sich bis in die Kronenspitze weiter.
Die Äste sind ähnlich eines japanischen Fächerbesens fächerartig bzw. bei flachen Kronen schirmartig angeordnet. Sie unterliegen zwangsläufig regelmäßigen Schnittmaßnahmen, da aus der Krone wachsende lange Triebe durch ihr Dickenwachstum andernfalls nicht mehr zur Urspungskrone passen würden.
Der Wurzelansatz ist wie bei der streng aufrechten Form sternenartig angeordnet, da der Bonsai ansonsten als ein "in die Erde gesteckter Besenstiel" erscheinen würde.

Geeignete Gehölze:
Laubbäume, z.B.
- Zelkoven (Zelkova)

Bonsai-Stilformen für Fortgeschrittene geeignet



Sokan - Doppelstamm

Typische Merkmale:
Es entspringen zwei Stämme ein und derselben Wurzel, wobei ein unterschiedliches Höhen- und ickenwachstum angestrebt wird. In der Bonsai-Tradition nennt man diese Stilform gern "Mutter und Kind" (bei Laubbäumen) bzw. "Vater und Kind / Sohn" (bei Koniferen).
Die Anordnung der Äste ähnelt der Besenform.

Geeignete Gehölze:
- Koniferen
- Ginkgos (Ginkgo biloba)
- Laubbäume

Fuki-nagashi - Windpeitschte Form

Typische Merkmale:
Diese Stilform kann als eine "Weiterentwicklung" der Geneigten Form angesehen werden, denn auch hier neigt sich der Stamm mehr oder weniger stark zu einer Seite.
Alle Äste werden hier jedoch zur geneigten Seite gestaltet, was dem Baum ein vom ewig pustenden Wind geformtes Aussehen verleiht.
Der Wurzelansatz wird auf der geneigten Seite gestärkt, um Standfestigkeit zu vermitteln.
Bonsai der windgepeitschten Form werden wie bei der Geneigten Form nahe dem Schalenrand positioniert, von dem sie sich wegneigen.

Geeignete Gehölze:
- besonders für Koniferen
- Laubbäume, sofern glaubwürdig

Han-Kengal - Halb-Kaskade

Typische Merkmale:
Es handelt sich hierbei um eine abgeschwächte Form der Kaskade (s.f.).
Der Stamm teilt sich in zwei Wuchsrichtungen, wobei die eine sich über den Rand der Schale neigt, dabei aber maximal den unteren Schalenrand erreicht. Der andere Stammteil baut sich wie eine Art "Gegengewicht" zur entgegengesetzten Seite auf der ersten Stammbiegung auf.
Die Belaubung der angedeuteten Treppe ist locker und stufenartig, während sich die kleine Krone ebenfalls recht licht aufbaut.
Man beachte bei der Gestaltung der Halb-Kaskade, dass jede der z.T. treppchenartig wachsenden Kronen wohlstrukturiert ist und das Laub nach oben weist. Neue Triebe, die nach Original senkrecht nach oben wachsen, sind zu entfernen.

Geeignete Gehölze:
bevorzugt langsam Wachsendes
- Wacholder (Juniperus)
- Zwergmispeln (Cotoneaster)
weiterhin
- versch. Koniferen
- Laubbäume, sofern glaubwürdig

Kengai - Kaskade

Typische Merkmale:
Im Gegensatz zur Halbkaskade (s.o.) werden bei der Kaskade die typischen wasserspielartigen Merkmale voll ausgeschöpft.
So teilt sich der Stamm auch hier in zwei Wuchsrichtungen, von denen sich die eine über den Rand der Schale und in sanften Schwüngen über ihre Basis hin neigt. Der andere Stammteil bildet wiederum eine Art "Gegengewicht" zur entgegengesetzten Seite auf der ersten Stammbiegung auf.
Die Belaubung der Kaskade ist locker und stufenartig. Die kleine Krone baut sich ebenso licht auf.
Man beachte bei dieser Stilform, dass jede der treppchenartig wachsenden Kronen wohlstrukturiert ist und das Laub nach oben weist. Neue, senkrecht nach oben wachsende Triebe müssen stets entfernt werden.

Geeignete Gehölze:
bevorzugt langsam Wachsendes
- Wacholder (Juniperus)
- Zwergmispeln (Cotoneaster)
weiterhin
- versch. Koniferen
- Laubbäume, sofern glaubwürdig

Bonsai-Stilformen für Fortgeschrittene und Experten geeignet



Kabudachi - Mehrfachstamm

Typische Merkmale:
Es entspringen mehrere Stämme ein und derselben Wurzel, wobei eine ungerade Anzahl an Stämmen (3-5-7-9) angestrebt wird. Eine gerade Anzahl wirke unharmonisch.
Die Anordnung der Äste ähnelt dem Doppelstamm bzw. der Besenform.

Geeignete Gehölze:
besonders für Sträucher, z.B.
- Strauchhasel (Corylus avellana)
Gehölze, die Stockausschläge produzieren, z.B.
- Grün-Erle (Alnus viridis)

Seki-Joju - Wurzel über dem Felsen

Typische Merkmale:
Der Stamm kann sich mit leichten Schwingungen bis zur Kronenspitze hin verjüngen oder nach dem ersten Stammdrittel in eine fächerartige Krone übergehen (vgl. Besenform).
Das Besondere an dieser Stilform sind die Wurzeln, die einen Felsen umklammern und sich an ihm entlang bis ins Erdreich tasten.

Geeignete Gehölze:
beste Ergebnisse mit
- Kletterfeigen (Ficus pumila)
- Dreispitz-Ahorn (Acer trifidum)
keine Bäume mit fleischigen Wurzeln (z.B. Ginkgo)!

Diese Stilform wegen der freiliegenden Wurzeln unbedingt vor Frost schützen!

Netsuranari - kriechende Form

Typische Merkmale:
Die kriechende Form kann möglicherweise als eine "Weiterentwicklung" der Windgepeitschten Form angesehen werden, wobei sich hier der Stamm nahe des Substrates ausbildet. Zum Teil berührt er es sogar und schlägt Wurzeln, bleibt aber mit der Ursprungswurzel in Verbindung.
Alle Äste setzen weit unten an.
Bonsai der kriechenden Form werden ähnlich der Geneigten bzw. der Windgepeitschten Form nahe dem Schalenrand positioniert, von dem sie sich wegneigen.

Geeignete Gehölze:
- besonders für Koniferen
- Laubbäume, sofern glaubwürdig

Bunjingi - Literatenform

Typische Merkmale:
Auffällig für die Literatenform ist der schlanke Stamm, der erst im oberen Drittel Äste trägt.
Die Belaubung ist spärlich.
Es gibt zwei Meinungen über diese Stilform: Die Einen sagen, es werden Schriftzeichen nachempfunden, wiederum andere Quellen besagen, dass in Askese lebende Gelehrte dargestellt werden sollen.

Geeignete Gehölze:
- versch. Koniferen

Bonsai-Stilformen für Experten geeignet



Yose-ue - Waldform

Typische Merkmale:
Die Bepflanzung in der Schale wird einem Wald nachempfunden, wobei sich die Stämme in ihrer Höhe und Dicke unterscheiden müssen und so angeordnet sind, sodass die nötige Tiefe erschaffen werden kann.
Üblicherweise werden dabei zwei Baumgruppen arrangiert, in denen es wenige dicke, hohe Bäume gibt (große, orange Punkte), die von mittleren Bäumen (mittlelgroße, violette Punkte) und kleineren Bäumen (kleine, blaue Punkte) flankiert sind.
Um nichts vom Arrangement der Gestaltung zu nehmen, werden Bonsai-Wälder in sehr flachen Schalen oder auf Steinplatten in zurückhaltenden Farben präsentiert.

Geeignete Gehölze:
- Birken (Betula)
- Hainbuchen (Carpinus)

Ikada-Buki - Floßform

Typische Merkmale:
Der ehemahlige Stamm ruht horizontal auf der Erde und bildet die Wurzel seiner Äste, die zu den neuen Stämmen umfunktioniert worden sind.

Geeignete Gehölze:
- Laubbäume

Ishitsuki - im Stein

Typische Merkmale:
Eine Erweiterung zur Wurzel über dem Felsen bildet die Felsenbepflanzung. Dabei wachsen die Bonsai in Vertiefungen im Stein, die mit lehmartigen Substrat gefüllt sind.
Die Wurzeln reichen nicht bis hinunter in die Schale.
Deshalb sind substratgefüllte Schalen unnötig, die Bonsai werden meist mitsamt ihres Felsens auf einer Platte oder in einer mit Wasser gefüllten Schale präsentiert und gepflegt.

Geeignete Gehölze:
Koniferen mit geringer Verdunstung
- Kiefern (Pinus)
- Wacholder (Juniperus)
- Fichten (Picea)

Negari - Wurzelstamm

Typische Merkmale:
Auffällig für diese Stilform sind die freigelegten Wurzeln, die den Bonsai wie auf Stelzen stehen lassen.
Die Belaubung ähnelt der Besenform.

Geeignete Gehölze:
- Feigenbäume (Ficus)
- Junischnee (Serissa)

Schön, dass ihr bis hierher gut aufgepasst habt, gönnt euch erstmal eine Pause. Danach geht's weiter mit Teil 2b "Bonsai-Gefäße und Utensilien auswählen".